Feminismus 22.11.2015

 

 

Zuhause lagen die Bücher aus den achtziger Jahren. Fröhlich menstruierende Frauen tanzten in selbstzufriedenen Comics um ein Mondscheinfeuer. Bequeme weite Kleidung, entspannt rauchend. Endlos debattierende Studierendenrealität vor meiner Geburt. Ich glaube nicht, dass meine Mutter jemals in einem solchen Leben war. Wohl aber hatte sie ein Lebensgefühl entwickelt. Eine Form des und achtlosen Erlebens von Selbstsicherheit in einem Reservat der isolierten Freiheit.

In dieser begrenzten Welt gab es „weibliche Solidarität“. Eine Absprache der Loyalität in der Welt der Unterdrückung. Daran, wie wenig der unbeirrbare Glaube meiner Mutter an meinem Erfahren der Realität ausrichten konnte, verzweifelte ich oft. Um mich herum fand ich mit Ausnahme meiner Mutter nur ängstliche, und unglückliche Frauen. Mein Sichtkreis war nicht groß. Das Segment der Wirklichkeit, das ich zu Beginn meiner Pubertät erlebte, zeigte mir eine Frauenrolle, die Unsicherheit und ein niedriges Selbstwertgefühl als selbstverständlich konstruierte. Um mich herum war das Selbstabwerten Alltagsgeschäft. Kindheit  und dann ein Strudel aus Selbstabwertungen. Und wegen was man sich alles schlecht fühlen darf! Ich hatte fast das Gefühl, dass im Gymnasium alles noch viel schlimmer war, als in der Hauptschule. Auch wenn das eine unfair, romantisierende Projektion sein mag, hatte ich den Eindruck, dass ein bestimmter Körper an einem bestimmten Menschen noch viel eher akzeptiert wurde, als in diesen Instituten der höheren Bildung. Ich hatte das Gefühl, wir werden auseinandergerissen – in Körper und Geist unterteilt. Fleißige Mathestunden und in den Pausen kleine Pornovideos auf schlechtauflösenden Miniaturbildschirmen der Klapphandys.

Ich musste begreifen, dass man mit bestimmten Looks stärker um Anerkennung kämpfen muss. Beauty als absolutes Kriterium. Weil niemand in meinem Umkreis eine andere Ausstrahlung als Minderwertigkeit hatte, konnte ich nicht ahnen, wie schwach wir alle waren. Man ist unendlich klein, wenn man sich selber hasst. Ich konnte meinen Ansprüchen an Körper nicht genügen und traute mir nicht so viel zu, wie ich mir zutrauen hätte können. Ich war gehandicapt, weil meine Frustration über mich selbst meine Weltsicht bestimmte. Ich hasste mich so außerordentlich stark. Ich verbrachte Stunden damit zu, mich selbst zu hassen, die Hässlichkeit meines Körpers wieder und wieder zu bemerken. Ich hatte auch Vorbilder, die sich selbst gehasst haben. Es gab die passende Melancholie dazu. Zwischen verzweifelter Selbstaufgabe und selbiges als ernstgemeintem Lebensstil pendelte ich. Aber alle meine Vorbilder waren männlich.

Es gab eine männliche Rolle, die diesen hoffnungslosen Anteil hatte und bei diesen Männern war das sexy. Sexy lost. Das war irgendwie stark, das Zugrundegehen an der Gesellschaft, als Ausgestoßener wandelnd in einer leidenschaftlichen Romantik. Wut und radikale (Auto-)Aggressivität als Teile einer Popkultur der ich mich hingeben wollte. Aber ich fand nicht so richtig meinen Platz. Ich habe mich leidenschaftliche gehasst, aber ich war zu vehement um in eine weibliche Rolle zu passen. Ich war nicht nur sensibel, sondern auch wütend. Ich brodelte, weil ich überall bemerkte, wie homogen diese Rollenzuschreibungen waren.  Die Gruppe, an Menschen, denen ich mich am meisten zugehörig fühlte, war eine männliche Gruppe. Ich war auf eine Schule, an der der Anteil an männlichen Schülern doppelt so hoch war, wie der der Schülerinnen. Es war ein naturwissenschaftliches Gymnasium. Es ist also nicht sehr erstaunlich, warum die Zusammensetzung genau so war.

Ich habe merkwürdige Aktionen gestartet, weil es für mich keinen tradierten Zugang zu dieser Gruppe gab. Ich hatte weder einen großen Bruder, noch andere Verwandte in dieser Kleinstadt, die diese Leute kannten. Ich musste selber einen Weg finden, um mich relevant zu machen und ich hatte sehr, sehr wenig Selbstvertrauen. Meine Strategie war deshalb so verwunderlich, weil sie ein Hybrid aus zurückhaltendem und distanziertem Versteckspiel war und direkter offensiver Konfrontation.  Erst einmal identifizierte ich den geheimen Anführer. Den größten Weirdo, der in dieser Gruppe angesehen war, weil sie alle dem Popkulturethos nachhangen. Ich versuchte mit ihm über Musik zu reden, wurde aber fehlinterpretiert. Sie dachten, ich wäre verliebt. Aber ich genügte nicht als Partnerin. Ich war nicht attraktiv genug. Das wusste ich und ich hatte überhaupt kein Interesse daran, mein Sexy-potential auszuloten. Ich wollte ihn nutzen, um möglichst effektiv in die Gruppe einbrechen zu können. Ich werde nicht darauf eingehen,  welche Kanäle ich genutzt habe und wie ich es angestellt habe, zu versagen.

Die langanhaltende Ausdefinierung meiner Rolle geschah durch meine neue Freundin J.. Ich traf sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ich war acht Wochen in der Gruppe im Stockwerk unter ihr stationiert, ich war noch bei den Kleinen. J. war bei den beinahe Erwachsenen. Am Wochenende musste ich nach oben, weil so wenige Kinder über das Wochenende im Krankenhaus blieben. Ich war verwundert, weil so viele Kinder aus meiner Heimatstadt in dieser Psychiatrie waren. Psychiatrische Erkrankungen der Reichen und Schönen – bei Kindern auch nicht süß. Ich kannte J. aus der Beobachtung und sie mich aus Erzählungen. J. ist unglaublich schön. Und unglaublich sexy, was sie nicht glücklich gemacht hat. Sie war ein Schmuckstück und beinahe ein riot grrl. Ein bisschen zu sehr sich selbst ausgeliefert, aber das sah man ihr nicht an.

Wir näherten uns an, nachdem ich einmal klar gestellt hatte, dass ich nicht hinter ihrem Freund her war (der Anführer meiner angestrebten Peergroup), beschlossen wir uns zusammen zu tun. Das war schon auch sehr romantisch. Sie war ein paar Jahre älter und ihre Aufgabe sollte nach mehreren Schulabbrüchen ein Leben aufzubauen sein. Nach der Klapse besuchte ich sie in ihrer Wohnung, die ihr ihre Eltern bezahlten. Wir hatten Tee und träumten von verrückten Projekten, von Bands und Filmprojekten und dem bizarren Wasteland-Leben. Wir rauchten und tranken Wein. Wir betranken uns mit unseren Wünschen. Das Ding zwischen J. und ihrem Freund war on-off. Ich-kann-nicht-ohne-dich-ich-kann-nicht-mit-dir. Wir gingen zu Konzerten und ich genoss die Spannung, in die wir uns hinein begeben hatten. J. mit all ihren Attributen war die erste Frau, die ich traf, die in all dieser kranken Selbstabwertung noch den Drive und Mut hatte, eine Rolle zu inszenieren.  Wir berauschten uns, um diese Rolle auszufüllen. Wir wurden Vamps. Seltsame Vamps.

Wir benutzen unsere Körper um Anerkennung zu bekommen. Dank meiner Zeit als psychisch Kranke hatte ich ordentlich abgenommen, ich hatte neues Selbstvertrauen. Wir spielten mit unserer vermeintlichen Naivität, instrumentalisierten unsere Brüste und Lippen um überhaupt irgendwer zu werden. Wir waren sexy und morbide. Das ist eine zulässige Kombination. Wir konnten zwar nicht ernsthaft verzweifelt sein und unsere Sensibilität als verhaltene Leidenschaft zur Selbstinzenierung nutzen, aber der aggressive, promiskuitive und exzessive Vamp war das, was am nahsten dran kam. Obwohl das meiner intellektuellen und sensiblen introvertierten Seite überhaupt nicht gerecht wurde, war der ausgelassene Tanz mit J. durch die Nächte meiner Jugend das, was solchen Vorstellungen am ehesten entsprach.

Dafür gab es auch popkulturelle Vorbilder, die ich kennenzulernen begann. Ich liebte Peaches, weil sie so stark war. Sie war von niemandem der Schatten, sie rasierte sich nicht, wenn sie nicht wollte. Und hatte trotzdem Sex und davon viel und experimentierfreudigen. Ich hatte keine Lust mehr, mich schlecht zu fühlen für meinen Körper. Ich hatte in der Folgezeit auch sehr viel Sex. Ich hatte keine Lust auf Bindung und hielt Paarbeziehungen für Kompensationstechniken. Aber ich gab nur vor so selbstbestimmt und stark zu sein. Es half trotzdem. Autosuggestion ist nicht zu unterschätzen. Zu einem großen Anteil war ich dann auch diese starke, autonome Frau, von der ich verlangte, dass ich sie bin. Ich hatte richtig viel Spaß! Wir spielten mit unserer Sexualität, wir prallten mit unserer Vulgarität auf alle Vorurteile und suhlten uns in Irritation. Wir gerieten ernsthaft zwischen die Fronten und so kam es dazu, dass uns wütende Mobs verfolgten. Aber wir konnten das einfach ignorieren, wir hatten uns ein neues Lebensgefühl aufgebaut. Plötzlich war alles so einfach. Ich musste mich nicht mehr vorstellen, die Leute kannten mich. Sie hatten von mir gehört. Dinge, von denen ich es wollte, dass sie erzählt werden. Selbst provoziert. Egal ob sie sie gut, schlecht oder seltsam fanden. Wir hatten es in der Hand, wir hatten uns ermächtigt.

Als ich einiges an Gewicht zugenommen hatte, wurde ich wieder mit der Grundangst konfrontiert, ob ich genügen kann. Es ist ein absolutes Armutszeugnis, das zuzugeben. Selbst das hier zu schreiben und in eine Beziehung zu setzen, scheint mir armselig. Wie mich das eingeschränkt hat in meinem Leben! Und was bleibt? Scham. Als ob es das schlimmste wäre, Gewicht zuzunehmen. Es ist mir peinlich, dass das so einen großen Einfluss auf mein Leben hatte. Aber man sieht das auch jetzt, eines der größten Argumente der Anti-feministen ist, dass Feministinnen dick sind. Sie meinen, dass wenn man abnehmen würde, dass dann alles gut wäre.

Ich hatte schon begonnen mich feministisch zu nennen, bevor das passierte. Obwohl ich nichts von weiblicher Solidarität spürte und begann darüber nachzudenken, warum ausgerechnet Frauen mit Frauen solidarisch sein sollten, hatte ich gemerkt, dass ich in Männern und Frauen das begehrte, was sie außergewöhnlich und unpassend macht. Ich liebte an J. ihre rohe, animalische Energie, die bis zur Selbstaufgabe ging. Wir hatten diese Gendertroubles, weil J. sich manchmal nicht wohl fühlte als Frau und ich überfordert war mit meinem umfassenden Begehren. Ich stellte in Frage, warum es überhaupt diese eindeutigen Kategorien gibt und warum sie so mächtig sind. Warum sie auch in meinem Leben immer so mächtig waren. Warum machte ich einen Unterschied zwischen Männern und Frauen?

Ich hatte auch immer sehr viel Spaß an den Rollen. Irgendwie ist es herausfordernd und spannend sich an so etwas abzureagieren. Ich habe gerne diese Rollenvorstellungen erfüllt und subtil gebrochen. Ich fand das Mitspielen und Modifizieren faszinierend, weil die Leute das gar nicht erwartet haben. Aber neben dem Spaß es hat mich auch viel Disziplin gekostet, mich nicht die ganze Zeit als Körper zu begreifen, sondern als Person. Ich musste üben, nicht ständig über meinen Körper nachzudenken, und ich musste Wut haben. Ich musste es hassen lernen, dass ich so klein und schwach bin, wenn ich mich selbst hasse. Und dass ich das Gefühl der Ohnmacht hasse, das musste ich auch lernen.

Ich musste lernen mir die Fragen zu stellen, warum ich meinen Körper so überbewerte und wer davon profitiert, dass ich mich schlecht fühle. Wer profitiert, wenn ich andere nach ihren Körpern beurteile? Ich weiß, dass viele Menschen der Überzeugung sind, immer gut aussehen zu müssen, um wertvoll zu sein. Das zieht sich durch alle Altersschichten und betrifft alle Geschlechter. Wir haben alle ein Recht auf Hässlichkeit. Niemand macht davon Gebrauch, wir halten es nicht aus, nicht schön zu sein.

Nachdem ich beschlossen hatte, mich nicht mehr selbst umbringen zu wollen, wollte ich Verantwortung in dieser Welt übernehmen. Wenn leben, dann mit allen Konsequenzen. Ein richtiger Teil dieser Gesellschaft sein, sie mitgestalten. Ich  wurde politisch aktiv. Ich wählte auch den politischen Feminismus. Obwohl ich mir dessen bewusst bin, dass das vermutlich konstruierte (westliche) Werte sind, bin ich bereit den absoluten Relativismus aufzugeben. Ich bin durch meine kulturellen und sozialen Erfahrungen in dieser individualistischen Welt geprägt, konditioniert und bestärkt in meinem politischen Glauben. Ich glaube, dass es wertvoll ist, Rollenzuschreibungen zu erweitern. Neue Rollen zu prägen. Spielend und aufregend. Sexy. Mehr Macht für kulturelle Vorbilder, weniger Macht für die Vermarktung von Körpern als Standard.

 

Viele meiner Arbeiten enthalten meinen nackten Körper als Stellvertreterin. Die Menschen aus dem Publikum sagen häufig, dass das "mutig" wäre. Ich finde das lächerlich, genauso wie die Menschen, die sich dazu berufen fühlen, meinen Körper nach ihren Standards zu bewerten. Keine meiner Arbeiten habe ich gemacht, um irgend jemandem zu gefallen. Darin sehe ich einfach nicht meine Aufgabe und ehrlich gesagt habe ich Besseres zu tun.

Reinszenierung eines ikonischen

Fotos

Amelie Jakubek

Jaydn Hubrecht

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